Deutschland hat Panne (BaZ vom 28.02.18)

 

Mittwoch 28. Februar 201807:37

 

Deutschland hat Panne

 

Kommentar Das definitive Ende der freien Fahrt.

 

 

Wer gibt die Fahrtrichtung vor? Die freie Fahrt, ein gefühlter Zusatz zum deutschen Grundrecht, wird mit dem Entscheid der Bundesverwaltungsgerichts ausgebremst. (Bild: Meyer Thomas)

 

Michael Bahnerth

 

 

Seit gestern Mittag um zwölf Uhr dürfen deutsche Städte und Kommunen grundsätzlich Fahrverbote für ältere Dieselautos verhängen, so sie das denn wollen oder müssen, sollten sie darauf verklagt werden. Das geht aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hervor, das «Dieselfahrverbote nach geltendem Recht für grundsätzlich zulässig» hält.

 

In einem ersten Schritt sind Modelle betroffen, die nur die Abgasnorm Euro 4 oder schlechter erfüllen. Nach einer Übergangsfrist, vermutlich ab September 2019, droht auch für Euro-5-Diesel in deutschen Innenstädten ein Fahrverbot. Von den rund 15 Millionen Dieselfahrzeugen in Deutschland trifft dieses Urteil gut zehn Millionen Fahrzeuge und Autofahrer sowie ein paar 10 000 alte Benziner, die noch mit Euro 2 unterwegs sind.

 

Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die Stuttgart, Düsseldorf und 16 andere Kommunen per Gerichtsbeschluss dazu bringen wollte, ihre «Luftreinhaltepläne umzusetzen und nachzubessern» und die «Stickoxidgrenze» einzuhalten, indem ein Fahrverbot für alte Dieselmodelle eingeführt wird. Die Verwaltungsgerichte von Stuttgart und Düsseldorf gaben der Klage nach, woraufhin die beiden Städte Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht hatten, die nun abgelehnt worden ist. Das heisst, Städte und Kommunen können fortan festlegen, in welchen Strassen Fahrverbote gelten sollen.

 

Entdemokratisierung

 

Das ist natürlich nicht der Untergang des deutschen Automobils, aber es ist das definitive Ende dessen, was ab 1974 als «freie Fahrt für freie Bürger» bezeichnet wurde und im Grunde einen gefühlten Zusatz zum deutschen Grundrecht darstellte. Und da ist die Frage, wer in Deutschland diesbezüglich die Fahrtrichtung vorgibt; der Staat, der gesunde Menschenverstand oder ideologisch gesteuerte Umweltorganisationen.

 

Vermutlich wäre dieses Urteil ohne das, was als Diesel-Skandal in die Garage der deutschen Automobilgeschichte eingeht, anders ausgefallen. Die Tricksereien im Umgang mit Emissionswerten sowie die aktuelle Weigerung der grossen Hersteller, ein Update von Euro-5-Norm auf Euro-6-Norm auf den Markt zu bringen, wirkte sich wohl in der Tendenz durchaus auf den moralisch-rechtlichen Motor des Richters aus.

 

Was auf Deutschlands Strassen jetzt Realität werden wird, ist, dass es eine Zweiklassengesellschaft geben wird, weil gerade die Entdemokratisierung des Automobilverkehrs beschlossen wurde. Es gibt nun jene, die sich ein neues Auto leisten können, das den Normen entspricht, und jene, die auf ihrer alten, aber noch tipptopp fahrtüchtigen und TÜV-geprüften Karre sitzen bleiben und sie fortan am Stadtrand parkieren müssen.

 

Der Entscheid des Gerichts hat den Wert von zehn Millionen Dieselfahrzeugen auf einen Schlag massiv vermindert, um wie viel, ist noch nicht ganz klar. Ein betroffenes Fahrzeug mit Euro-4-Norm hat ein Baujahr zwischen 2005 bis 2009, Norm 5 zwischen 2009 bis 2014. Die neusten der alten Fahrzeuge, die künftig aus gewissen urbanen Bereichen ausgeschlossen werden dürfen, sind 13 Jahre alt.

 

Es soll Ausnahmen geben. Für Handwerker, Behinderte, Anwohner natürlich. Für alle andern nicht. Die müssen draussen bleiben. Damit ist die Stadt als urbanes Zentrum, das allen gleich zugänglich ist, Vergangenheit. Das Aussperren gewisser Fahrzeuge und deren Halterinnen und Halter erinnert an das mittelalterliche Szenario von Stadtmauern und Stadttoren und die Selektion davor.

 

Fahrt in die Sackgasse

 

Folgendes Szenario: Alle, die einen älteren Diesel oder einen sehr alten Benziner fahren, kurven in Zukunft nur noch bis zu den entsprechenden Verbotstafeln im Zentrum einer Stadt. Dort suchen sie etwas, das in unserer mobilen Gesellschaft seltsamerweise sehr selten geworden ist: Parkplätze. Sie kurven rum und kurven rum und verursachen eine Menge Ausstoss an Stickstoffoxiden. Nun sind ja Stickstoffoxide in der Luft alles andere als statisch, sondern dynamisch.

 

Das verhält sich ähnlich wie bei der Flatulenz. Natürlich riecht ein Furz dort am heftigsten, wo er losgelassen wurde, aber seine Gase verteilen sich dann weiträumig. Das Problem der Emission wird also nicht verkleinert, sondern nur verlagert, bleibt sich aber in der Summe theoretisch gleich.

 

Es bleibt auch fraglich, ob ein Dieselverbot die Luft in deutschen Städten zu retten vermag, wenn etwa am Stadtrand Schwermetall verarbeitet oder Braunkohle abgebaut wird. Vor diesem Hintergrund scheint die neue Praxis zur Rettung der Atemwege doch eher wie eine künstlich angelegte Sackgasse und eine Manifestation einer Öko-Diktatur auf ungebremster Fahrt.

 

Eine weitere Frage ist nun, wie das Dieselverbot umgesetzt wird, und vor allem, wie es dannzumal kontrolliert werden soll. Es ist klar, dass die Polizei nicht jeden Lenker, von dem sie denkt, er könnte ein Euro-Norm-Betrüger sein, anhalten und dann den Fahrzeugschein kontrollieren kann. Und eine Plakette, egal ob grün oder blau, ist noch viel weniger in Sicht als ein Deutschland, das offenbar gerade gänzlich seinen Realitätssinn verliert und blind für die Wirklichkeit wird.